Szenariotechnik zum Hinterfragen riskanter Abhängigkeiten

Anknüpfend an meinen Weihnachtsgruß und an die darin geäußerten Wünsche, dieses Jahr zu einem besseren Jahr zu machen, muss ich im ersten Quartal leider schon zurückrudern. Denn wir sehen, dass die Welt leider nicht besser wird: Während die Corona-Krise noch nicht überwunden ist, wird die globale Weltordnung seit dem Einfall des russischen Militärs in die Ukraine bereits auf die nächste Probe gestellt: Der anhaltende russische Angriffskrieg geht mit sozialen Tragödien, politischen Paralysen und wirtschaftlichen Störungen noch unbekannten Ausmaßes einher. Sicher geglaubte Beziehungen brechen ab, vermeintlich stabile Allianzen werden auf den Prüfstein gelegt. Die Verknappung beispielsweise von Getreide zeigt ihre Auswirkungen sogar bis nach Afrika, wo viele Menschen nun hungern. Dieses Phänomen zeigt die Auswirkungen der Vernetzung aller Aktivitäten in der Welt.

Wir können Entscheidungen anderer nicht verhindern. Wir können uns aber auf extreme Szenarien besser vorbereiten, indem wir Abhängigkeiten erkennen und gezielt abbauen, wenn sie das Risiko unerwünschter Auswirkungen bergen.

Was für die weltpolitische Szene gilt, trifft auch für Unternehmen zu. Oft nehmen wir gewachsene Beziehungen als gegeben hin, ohne die damit verbundenen Risiken zu hinterfragen. Warum ist das so? Funktionierende Beziehungen sind komfortabel. Wir konzentrieren unsere Aufmerksamkeit und Ressourcen auf die Sachverhalte, die nicht funktionieren. Außerdem entwickeln sich mit den Beziehungen auch die Abhängigkeiten in einem schleichenden Prozess. Dabei blenden wir aus, dass sich die bestehenden Verhältnisse radikal wenden und die Beziehungen gefährdet werden könnten.

Genau für diese blinden Flecken sensibilisiert die Methode der Szenariotechnik. Sie fordert uns heraus, Vorausgesetztes zu hinterfragen und es als fragil und veränderlich zu betrachten. Und sie hält uns an, auch beim Eintritt einer für unwahrscheinlich gehaltenen radikalen Veränderung handlungsfähig zu bleiben.

Die Lösung hinsichtlich des Problems von eingefahrenen Abhängigkeiten besteht in der Unterhaltung multipler aktiver Verbindungen statt Single Sourcing. Es empfielt sich, alternative Technologien zu verfolgen, anstatt alles auf eine Karte zu setzen, und Reserven vorzuhalten.

Entscheidend ist aber vor allem ein achtsames und agiles Vorgehen. Ein solches erfordert auch, sich regelmäßig der manchmal unbequemen, aber wichtigen „Was wäre, wenn…“-Frage zu stellen: Was würden wir tun, wenn unser Marktvolumen sich morgen halbieren würde? Was würden wir tun, wenn eine erfolgskritische Ressource, seien es Know-how, Anlagen oder Beziehungen, morgen abrupt nicht mehr zur Verfügung stehen würden? Welche Vorkehrungen sollten wir jetzt treffen, damit wir in solchen Situationen handlungsfähig sind? Was werden wir verändern? Was kosten uns diese Vorkehrungen? Russlands folgenschwerer Angriff auf die Ukraine legt nahe, dass die Szenariotechnik für Unternehmen den Stellenwert einer ideellen Versicherungspolice einnehmen sollte.